Tinder on the job?

Tinder ist mit 46 Millionen Nutzern heute zum Einen ein ernstzunehmendes Unternehmen, dessen Produkt sich rein quantitativ auf die Lebenswirklichkeit vieler Menschen bedeutsam auswirkt, so sind fast 20% der in 2017 heiratenden Paare in den USA ‘Tinderpärchen’. Zum Anderen hat es einen qualitativen Einfluss auf etablierte Praxis und die Individuen, die sich in einem Markt bewegen, der das Dating deutlich beschleunigt und das Individuum als ein Produkt auf einem Markt platziert, wo jeder dem Urteil von fremden anderen ausgesetzt ist. Dieses Urteil basiert auf wenigen Informationen, meistens einem oder wenigen Bildern. Das Urteil kommt als Feedback von ‘unbekannten’ anderen. Das Selbst mit Facetten wie Selbstwert und Selbstbewusstsein hängt aber von beidem direkt ab. Feedback und Validierung von anderen basierend auf Vergleich mit Konkurrenz ist beides ist undurchsichtig bei Tinder. Der Nutzer hat nur vorgestellte ’imagined’ Gegenüber, virtuelle Profile, die Bewertungen abgegeben, inwiefern man ‘likeable’ ist oder nicht und die Vorstellung wie attraktiv andere sind.

Dies scheint in der Handlungspraxis dazu zu führen, dass sich Individuen so verhalten, dass sie nach vielen Matches streben und sich dafür einerseits attraktiv und andererseits gleichförmig, also an ästhetische Sehgewohnheiten und Normen angepasst präsentieren. Das bedeutet, dass fast alle Profilbilder in wenige eindeutige Kategorien einzuordnen sind. Dabei wird die Chance ein ‘true match’ zu finden für ‘many matches’ geopfert. Dies scheint widersprüchlich, wenn Forschungsergebnisse ernst genommen werden, die zeigen, dass die Mehrzahl der Nutzer ernste Absichten auf Tinder verfolgt.

Die tägliche Praxis zeigt dabei, dass Tinder starken Einfluss auf das Verhalten hat. Nutzer investieren Zeit in die Profilpflege, den Prozess des Swipens und die Kontaktaufnahme mit Matches und arrangieren von Dates. Dies erklärt sich durch die Beschleunigung des ‘Microdatings’, wer nicht schnell handelt ist schnell abgeschrieben. “Frauen lösen ja sofort ein Match auf, wenn man nicht alsbald schreibt oder sofort antwortet”. Diese erlebte Realität wirkt sich auch auf die Arbeitswelt aus. Viele Nutzer richten ‘secundary usage’ ein, das bedeutet, dass der Nutzer auf Tinder aktiv ist, während er eigentlich wichtiges anderes zu tun hätte, zum Beispiel bei Meetings.

Und wer ist nun bei Tinder? Nutzer finden sich aus allen Milieus. Spannend ist, dass je höher der Bildungsgrad desto höher ist sowohl die Absicht einen Partner fürs Leben zu finden, als auch die Bereitschaft für kurzfristige Zwecke und Sex und desto geringer ist das Motiv Freundschaften zu finden. Der Grad der Urbanisierung, wo Tinder genutzt wird, scheint aber relativ wenig Einfluss zu haben.Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass in Großstädten das Motiv für Sex weiter verbreitet ist. Dies kann aber auch demographische, nicht unbedingt kulturelle Gründe, haben.

Johanna Degen 

Psychologin am Institut für Umwelt-, sozial- und humanwissenschaften Abteilung Psychologie Europa-Universität Flensburg